(Arrhae)
Später am Abend, die Situation im Casino hatte sich längst normalisiert und kaum jemand nahm mehr Notiz von Arrhae, bis auf den Moment, wo sie zusammen mit Ndeian das Etablissement wieder verließ. Auf dem Weg zur Tür suchte sie den Rihannsu, der ihr einige Stunden zuvor demonstrativ im Wege gestanden hatte, doch offenbar war er bereits gegangen. Vermutlich ließ es der Dienstplan des Equatorium nicht zu, daß er bis spät in die Nacht seiner Freizeit nach hing.
Doch irgendetwas hatte sie an ihm beeindruckt, es war weniger seine beinah hünenhafte Statur als diese ruhigen und wachen Augen, die sie intensiv gemustert hatten. Und dann diese Geste – als würden sie sich jahrelang kennen und es etwas ganz normales wäre.
Schließlich aber verdrängte sie diese Gedanken. Es gab jetzt Wichtigeres.
Als die beiden Rihannsu die Aehallh gegen 2 Uhr Bordzeit wieder betraten, trennten sich ihre Wege. Arrhae war nun wieder der Riov des Schiffes und da sie selbst nach dem ausgiebigen Essen keine Müdigkeit verspürte, lenkte sie ihre Schritte Richtung Maschinenraum.
Zufrieden stellte sie dort fest, daß die Reparaturen bereits begonnen hatten. Bei dem leitenden Ingenieur des Schiffes, der sich zurzeit mit einem Techniker der Station unterhielt, erbat sie einen ersten Bericht. Offenbar gingen die Arbeiten gut voran, so daß sich die Aehallh tatsächlich nicht länger als nötig aufhalten musste. Zusätzlich übergab er ihr den gewünschten Zeitplan, der die Abstimmung mit dem Stationspersonal enthielt.
Nach einem kurzen Abstecher auf die Brücke senkte sich nach und nach doch Erschöpfung über ihren Geist und sie beschloß, zu Bett zu gehen. Der nächste Tag würde früh genug beginnen.
Reichliche fünf Stunden später wurde sie von Ndeian geweckt, doch von da an sollte es nur noch bergab gehen an diesem Tag – scheinbar waren die Elemente mehr als missgestimmt.
Während ihr Diener das Frühstück bereitete, gönnte sie sich eine warme Dusche – Wasser, ein Luxus, der nur höheren Offizieren zur Verfügung stand. Doch es barg auch eine Gefahr, denn als sie sich in der Kabine umdrehte, rutschte sie auf dem dünnen Flüssigkeitsfilm aus. Ein kurzer Schmerzensschrei entrang sich ihrer Kehle, als sie unsanft auf dem harten Boden aufschlug. Sofort war Ndeian zur Stellen, wollte ihr aufhelfen, doch an Bewegung war nicht zu denken. Vermutlich hatte sie sich den Rücken geprellt. Ndeian wollte die Krankenstation informieren, damit sie jemanden vorbei schicken sollten, doch diese Blöße wollte sich Arrhae nicht geben. Sie wartete lieber eine Stunde, bis der stechende Schmerz am Ende der Wirbelsäule vorübergehend abgeebbt war und ging, von Ndeian gestützt und leise fluchend selbst zur Krankenstation.
Rokar stellte dort fest, daß sie sich lediglich den Steiß geprellt hatte und gab ihr etwas gegen das Stechen. Des weiteren überreichte er ihr ein PADD mit den Informationen über die Rekruten, die er von Doktor t’Ptraval erhalten hatte.
Anschließend machte sie sich auf den Weg zu dem Gespräch mit Taev. Sie war ohnehin reichlich spät dran, doch länger als unbedingt nötig wollte sie ihn nicht warten lassen. Sie mochte Unpünktlichkeit nicht, sie empfand es als Anzeichen von Unzuverlässigkeit, und selbst war sie daher niemals unpünktlich, bis auf Momente, in denen höhere Gewalt ihre Finger im Spiel hatte.
„Es tut mir leid, daß ich Sie so lange hab warten lassen, Taev“, meinte sie, als sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte. „Ich hatte einen kleinen Unfall.“
„Ich hoffe, es geht Ihnen gut?“
„Ja, danke“, sie nickte. Doch sie bemerkte auch, daß er offensichtlich mit seinen Gedanken woanders war. Er machte einen recht merkwürdigen Eindruck, als würde ihm etwas auf dem Herzen liegen. Tatsächlich war dem so.
„Ich bitte um meine Versetzung“, sagte er ruhig, nachdem er tief durchgeatmet hatte, „ich kann nicht länger der Io’Saehne dieses Schiffes sein.“
Und Arrhae verschlug es die Sprache.
„Ich habe mich auch bereits nach einem Ersatz umgesehen“, er legte ihr ein PADD vor, das eine Akte enthielt. „Natürlich werde ich weiterhin unter Ihnen meinen Dienst für die Galae verrichten, beispielsweise als Anetnen.“
Arrhae hatte seine Worte vernommen, doch sie mied seinen Blick, irgendwie konnte sie ihn nicht ansehen. Statt dessen betrachtete sie die Akte und las die erste Zeile: Equatorium Terrh tr’Lhoell – und brach in Lachen aus. Sie lachte laut und ausgelassen, es wirkte unpassend an dieser Stelle und bewirkte eine nervöse Veränderung in Taevs Mimik, doch es befreite auch von einer Menge Anspannung der letzten Zeit, obgleich es kein freundliches Lachen war. Als sie schließlich verstummt war, versank ihr Gesicht in ihren Händen und sie dachte nach.
Taev dagegen wusste nicht, was er von diesem Ausbruch halten sollte und wartete, bis sie ihn doch endlich ansah.
„Sie meinen das ernst, nicht wahr?“
„Ie, Riov.“
„Warum?“ Warum nur drückt er sich vor der Verantwortung, er hätte längst Riov der Aehallh sein können mit Abkommandierung tr’Sikraths, doch offenbar gab es da etwas, daß er scheute, daß ihn nun auch diesen Schritt unternehmen ließ.
Doch er schwieg und ihre Miene verfinsterte sich.
„Nennen Sie mir einen Grund, erei’Arrain tr’Navok, und ich denke darüber nach!“
Stumm nickte er. Und Arrhae sah diesen Punkt vorerst für erledigt an – oder zumindest für verschoben.
Anschließend gingen sie die einzelnen Akten derer durch, die für die Crew der Aehallh in Frage kamen. Hauptsächlich befanden sich darunter Sicherheitskräfte, unter anderem Equatorium Ashro tr’Crast. Aber auch ein Navigator gehörte zu ihnen, Aldaris tr’Adun. Allesamt mit sehr guten Noten von der Akademie hierher gekommen, ihrer Meinung nach bereit für den ersten Einsatz im All. Aber wie bereit sie wirklich sein würden, daß würde sich noch herausstellen.
Nach recht kurzer Zeit war diese Besprechung schließlich beendet, doch Arrhae blieb sitzen und nahm wieder das PADD mit Terrhs Akte in die Hand. Ihn hatte sie absichtlich ausgelassen, um ihn wollte sie sich höchst persönlich kümmern.
Taev verstand die stumme Geste, erhob sich schließlich und wollte gehen, als Arrhae ihn noch einmal aufhielt.
„Einen guten Grund, Taev ... und einen ehrlichen!“
Er musterte sie, ging dann aber, weiterhin schweigend.
Sie musste dahinter kommen, was ihn bedrückte, warum er der Verantwortung so rigoros aus dem Weg ging, indem er seinen Posten aufgab, auf dem er seit Jahren dem Reich treue Dienste erwiesen hatte.
Nach einiger Zeit schob sie diese Spekulationen schließlich beiseite, es brachte ohnehin nichts. Stattdessen widmete sie ihre Aufmerksamkeit wieder der Akte und öffnete diese. Sie war nicht wenig überrascht, als sie das Bild des Rihannsu sah, der ihr am Vorabend im Casino im Weg gestanden und ihr später zugeprostet hatte. Sicherlich konnte das sehr interessant werden.
Auch er konnte sehr gute Ergebnisse von der Akademie vorweisen, entstammte einer guten Familie – Taevs Wahl war wohl wirklich nicht zufällig auf ihn getroffen. Eigentlich war er Taktikspezialist, aber es schadete sicher nicht, eine solche Person an ihrer Seite zu wissen.
Doch ob sie der Versetzung Taevs und der Einstellung Terrh tr’Lhoells als Io’Saehne zustimmte, musste sie sich gut überlegen.
-tbc-